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Vollgesogen vom Leben, trunken vor Leichtigkeit, die Sinne aufgestellt. Auf ihrem zweiten Album „Soaked‟ zelebriert die Hamburger Indiepopband BILBAO genau diese Zustände. Erinnerungen und Widerstände, Befreiung und Euphorie. Alles ist präsent. Befeuert von einem Sound, der sich hoch energetisch emporschwingt. Gitarren, die sich komplex aufbauen. Rhythmen, die in akzentuierter Dynamik driften. Und die den Puls ein ums andere Mal beglückend beschleunigen. Der Gesang flutet einen immer wieder mit diesem Gefühl, sofort aufbrechen zu wollen. Um schweißgetränkt zu tanzen. Um beherzt mitzusingen. Um zeitlos im Moment zu treiben. Denn allem voran ist BILBAO eine Live- Band durch und durch. Ein prickelnder Strudel. Mitreißend. Bis alle soaked sind.
Seit Release ihres Debütalbums „Shake Well‟ im Jahr 2022 hat das Quartett unzählige Konzerte gespielt und vor allem zahlreiche Festivals mit ihrem äußerst impulsiven Indiepop aufgeladen. Ob beim Southside, Tempelhof Sounds, Pangea, Dockville oder beim Deichbrand. Ob als Support für die Sportfreunde Stiller oder in Solo-Shows. „Wir haben unser Publikum nach der Pandemie erst richtig kennengelernt‟, sagt Gitarrist Robin. Menschen, die ihre Songs lauthals mitsingen. Die im strömenden Regen völlig ausrasten. Die sich ihre Lyrics tätowiert haben. All diese Erlebnisse hat BILBAO aufgesogen und in das neue Album fließen lassen. „Dadurch, dass wir so viel gemeinsam unterwegs waren, sind wir als Band noch einmal krass zusammengewachsen‟, erzählt Schlagzeuger Jan. Lange Strecken und kurze Nächte, Schicksalsschläge und Höhenflüge. All das hat die vier noch stärker vereint. Und als Band im besten Sinne eigenständiger werden lassen.
Trotz seiner hohen Dichte an catchy Hooks, an Mitsing-Chören und betörend schönen Pop-Momenten ist „Soaked‟ keine bloße Hit-Parade. Experimentelle Interludes, vertrackte Beats und verspielte Details verleihen dem Album einen freigeistigen Drive. Eine Musik, die atmet. Die pusht und sich ausdehnt. Und die getragen ist von einem luftigen Sommer-Vibe. Zum Schreiben der neuen Songs hat sich Bassist und Produzent Jannes gemeinsam mit Sänger Léon auf die Insel Föhr zurückgezogen sowie in die Gartenhütte seiner Mutter in Ostfriesland. Das Meer immer in der Nähe. Wasser, Weite, Raum für Ideen. Und ganz konkret: viel Regen. Eine spezielle Atmosphäre. Draußen das warme Nass. Die Welt wirkt weicher, weniger funktional. Besonders eindringlich zu spüren ist diese flüchtige Intensität in „Petrichor‟, einer Kollaboration mit der Stuttgarter Indiepopband Neeve. Der Synthesizer dreht hypnotische Schlaufen. Durchdringt einen wie nächtlicher Regen. Und das lyrische Ich taumelt im urbanen Treiben. „The city is odd / The city is cruel / But I’m in love with the Petrichor.‟ Der Geruch von Regen auf trockenem Boden katapultiert den Körper ins Hier und Jetzt. So was von da.
Final produziert hat BILBAO das Album in den Boogie Park Studios in Ottensen. „Wir sind nicht die Band, die lange im Proberaum jammt‟, erzählt Robin. „Songwriting, Samples, Stimmung und Produktion laufen im BILBAO-Kosmos direkt zusammen. Das ist das Spannende.‟ Und mit dem Opener „Bother‟ zeigt sich sofort die Bandbreite der Band: Ein sonnengeflutetes Gitarrenbrett, das retro-selig leuchtet. Eine USA-Reise. Chevrolet und Mixtapes. „How many times I wanna give up / I keep this motherfucker around!‟, singt Léon. Eine Ode an sich selbst. Durchhalten. Lebenshungrig sein. Im steten Tanz zwischen Angst und Abenteuer. Diesen Geist transportiert auch „Calling‟. Ein perfekter Festivalsong. Schnell, hymnisch, hoffnungsvoll. Und inspiriert vom lässig-smarten Popsound der französischen Band Phoenix, die zeitgleich mit Jannes, Robin, Leon und Jan auf einem Festival in Bilbao (!) gespielt hat.
Auf „Soaked‟ geht es immer wieder auch um Sehnsuchtsorte. „Lost & Found‟ featuring Telquist schweift gedanklich in die Ferne und feiert das Nomadentum zwischen Pasadena, Sevilla und Kaledonien. Die Erinnerungen an vergangene Reisen sind wie Flashbacks in das eigene Ich, das sich unterwegs verliert, verändert und so neu erfinden kann. An unbekannten Orten aufwachen und sich mit Fremden zutiefst verbunden fühlen – diese Energie hebt „In A Heartbeat‟ mit seinem flirrenden Rhythmus dann noch einmal auf das nächste Level. „When its over now, still the beat goes on.‟ Die Ekstase hallt nach, bis dann die Realität einbricht. „Es ist wichtig, beides zuzulassen‟, erklärt Léon. „Das Explosive und die Melancholie.‟
BILBAO verflechtet vielschichtig äußere und innere Reisen. „Hip Kids‟ ist wie eine in Pop gegossene Coming-of-Age-Geschichte mit Handclap-Charme: Die Protagonisten fühlen sich deplatziert wie Nerds in einem Highschool-Film. „Whoever You Love‟ greift dieses Thema ernster und zugleich empowernder auf: Leon singt zutiefst berührend davon, sich von Schuld und Schamgefühlen loszulösen, die einem Familie und Umfeld eingeprägt haben. „Yeah you decide who’s your home‟. Der Song erzählt von der universellen Erfahrung, sich von toxischen Strukturen aus Kindheit und Jugend loszusagen, um sich frei entfalten zu können. Zudem positioniert sich BILBAO mit dieser Nummer auch bewusst als Ally der LGBTQIA+-Community. „Wir reflektieren stark, dass wir eine Band mit vier weißen Cis-Hetero-Männern sind‟, sagt Jannes. „Umso klarer ist unsere Haltung, dass wir queere Personen in ihren Anliegen unterstützen wollen.‟
Die gesamte Aura von „Soaked‟ fühlt sich epischer und kontrastreicher an als beim Vorgängeralbum. Mit Einflüssen von Rock und Afrobeat bis hin zu Dreampop. Mit Phasen zum Durchatmen, bevor sich die gute Laune wieder ungefiltert Bahn brechen darf. Das Spontane und Schockverliebte balanciert sich aus mit dem Ruhigen, Reflektierten. Bestes Beispiel ist die Zusammenarbeit mit der Hamburger Band Willow Parlo für die Nummer „2002‟. Schwelgerisch erzählen Léon und Sängerin Noemi davon, innere Barrikaden zu überwinden. Bereit, um neue Eindrücke aufzusaugen. Ob nun völlig durchnässt im Regen, im kollektiven Rausch eines Festivals oder alleine bei softer Tagträumerei: Es geht darum, soaked zu sein. Wider die Leere. Als Lebensgefühl. Um weiterzumachen.
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